Sonntag, 7. August 2016

EIN NEUES STADTEXPERIMENT



Ein städtischer Raum für alle: Die Architekten und Stadtplaner Patrick Bouchain und Sophie Ricard experimentieren im französischen Rennes mit einem neuartigen Projekt. In einem ehemaligen Universitätsgebäude organisieren und koordinieren sie eine Vielzahl von Aktivitäten von Bürgern für Bürger. Der Dokumentarfilm erzählt von einem urbanen Abenteuer.

Rennes hat seit kurzem eine neue Oberbürgermeisterin. Der ehemalige Bürgermeister hatte das neue Stadtexperiment unterstützt, das von den beiden Architekten Patrick Bouchain und Sophie Ricard ins Leben gerufen wurde - der neuen Stadtverwaltung ist es ein Dorn im Auge. Die Architekten hatten einige Monate zuvor vorgeschlagen, den Bürgern der Stadt die leerstehende ehemalige Fakultät als Mehrzweckhaus zur freien und kostenlosen Verfügung anzubieten. Die Idee ist scheinbar einfach, die Umsetzung aber komplexer als gedacht: Die Bürger von Rennes sollen das leerstehende Gebäude bei Bedarf für einen bestimmten Zeitraum beliebig nutzen können.

Ein städtischer Ort wird damit zu dem, was die Bürger daraus machen - und die Nachfrage ist groß: Kunststudenten organisieren darin Ausstellungen, Vereine Trainingsangebote für sozial Ausgegrenzte, Feuerwehrleute Erste-Hilfe-Kurse, Psychotherapeuten ihre Gruppentherapien außerhalb des Krankenhauses, angehende Kunstschreiner ihre ersten Werkstätten. In der ehemaligen Fakultät brummt es wie in einem Bienenstock, Architektin Sophie betreut die wechselnde Raumverteilung.

Aber das Programm hat Gegner, denn an der kostenfreien Vergabe eines städtischen Raums ohne Bindung an einen bestimmten Zweck nimmt die neue Stadtverwaltung Anstoß. Romain Breselec, Student der Politikwissenschaften, schreibt seine Diplomarbeit über das "Université Foraine" getaufte Mehrzweckgebäude. Er befragt die verschiedenen Seiten - Befürworter ebenso wie Skeptiker. Zwei Lager, zwei gegensätzliche Ansichten von Stadtentwicklung - wird sich der neue Bürgermeister überzeugen lassen und das Experiment in ein dauerhaftes Projekt umwandeln? Der Countdown für das Projekt hat begonnen ...

Mittwoch, 6. April 2016

BROKEN LAND


Mauern gegen Migration: Dieses Konzept findet nicht nur in Europa Anwendung, sondern auch an der amerikanisch- mexikanischen Grenze. Mitten durch die karge Wüste führt der Grenzzaun, der die beiden Staaten trennt. Als visuelle und politische Metapher zeigt der Film, wie sich die Migrationsproblematik auf die Entwicklung der großen Demokratien der westlichen Welt auswirkt.

Überwachungskameras, die vom Fernsehsessel aus kontrolliert werden, Pistolen im Nachttisch, Wachhunde und abendliche Patrouillen mit Flutlicht und gezückter Waffe im eigenen Garten. Das ist der Alltag, der "way of life", einiger US-Amerikaner, die am Grenzzaun leben, der die USA und Mexiko trennt. Wie die Anwohner mit der Situation der allgegenwärtigen Migrationsproblematik umgehen, ist so unterschiedlich wie die Menschen selbst: Neben denen, die sich verbarrikadieren, sogar teils als eine Art Bürgerwehr schwer bewaffnet auf Illegalen-Jagd gehen, gibt es auch die, die den "Grenzkrieg", wie sie ihn nennen, ablehnen.

Sie sind die Alltäglichkeit der militärischen Abwehrmaßnahmen und die ständige Überwachung leid. Sie wollen in Frieden und Freiheit leben und haben Verständnis für die Migranten, die den selben Wunsch hegen. Der Dokumentarfilm erzählt aus der Perspektive derer, die auf der begehrenswerten Seite des Zauns leben und lässt US-Bürger zu Wort kommen. Die unkommentierten Aussagen der Interviewten bedürfen keiner journalistischen Bewertung, um die Absurdität der Situation zu verdeutlichen.

Der Film hinterfragt so die Identitätskonzepte und Zukunftsvorstellungen der westlichen Gesellschaft und erforscht die imaginären und tatsächlichen Folgen einer Schutzstrategie, die auch zum eigenen Eingesperrtsein führt. Welche Folgen hat diese Abschottungstaktik für die, denen sie Sicherheit geben soll? Wie beeinflusst sie den Blick auf den Anderen? "Broken Land" ist keine journalistische Analyse, sondern ein philosophischer Streifzug, der einlädt, sich selbst mit dem Thema auseinanderzusetzen.

DIE ANSTALT - 5. APRIL 2016

Sonntag, 3. April 2016

SCHLEIERHAFT - ÜBER DIE KULTUR DES SCHLEIERS IN EUROPA



Heute finden sich Schleier in der westlichen Welt nur noch als Relikte in Form von Braut-, Witwen- oder Nonnenschleiern. Schleier sowie Kopftuch werden als typische Kopfbedeckung muslimischer Frauen angesehen. Und um den muslimischen Schleier und dessen Symbolgehalte geht es in der Dokumentation.

Babylonische Göttinnen, Damen in der Antike und Madonnen auf mittelalterlichen Gemälden: Seit Menschengedenken verdecken Frauen ihr Haar, verhüllen ihr Gesicht oder den ganzen Körper. Schleier und Kopftücher sind mächtige, urweibliche Zeichen - und sie bilden einen Widerspruch in sich: Sie machen Weiblichkeit sichtbar durch Verhüllung.

In westlichen Gesellschaften haben Schleier heute nur noch symbolischen Wert, als Brautschleier oder Nonnenhauben. Schleier und Kopftücher gelten als typisch islamische Kopf- und Körperbedeckungen. Im europäischen Straßenbild geben sich Kopftuchträgerinnen als Musliminnen zu erkennen. Und gerade bei jungen Frauen sind sie Ausdruck eines gestärkten muslimischen Selbstbewusstseins.

Im Westen lösen diese Kopfbedeckungen heftige Gefühle aus. Sie transportieren die unterschiedlichsten Botschaften in Bezug auf Geschlechterordnungen und Religion, gleichzeitig enthalten sie eine Fülle kultureller, erotischer und modischer Codes. Über das Erscheinungsbild von Kopftuch- und Schleierträgerinnen in der Öffentlichkeit wird im französischen Parlament diskutiert, im deutschen Feuilleton gestritten, in niederländischen Internetforen debattiert. Ganzkörperschleier - die afghanische Burka und der arabische Niqab - stoßen auf strikte Ablehnung. Sogar einfache Kopftücher sind zu Sinnbildern für kulturelle Überfremdung, radikalen Islam, Unterdrückung der Frau im muslimischen Patriarchat und weibliche Unfreiheit schlechthin geworden.

Schleier und Kopftuch waren und sind Inspiration für Kunst- und Kulturschaffende, früher thematisch fokussiert auf erotische und sinnliche Inhalte, heute auf das Spannungsfeld zwischen weiblicher Unfreiheit und Selbstbehauptung. Bis heute sind Schleier Projektionsflächen, für die Starkünstlerin Shirin Neshat ebenso wie für den Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk.

Die Dokumentation spürt die höchst komplexen Bedeutungsebenen hinter den Zeichen auf. Sie fragt aus deutscher und französischer Sicht, welche Rolle sie bei der Interpretation von Weiblichkeit spielen, welche realen und eingebildeten Gefahren von diesem Stück Stoff ausgehen, und warum der Schleier trotz allem seine Faszination und Magie bewahrt.

Mittwoch, 30. März 2016

DIE GROSSE STROMLÜGE


Frost und Kälte fordern auch in Europa noch immer Todesopfer. In den letzten Jahren wurde eine längst überwunden geglaubte Gefahr wieder aktuell: Vielen Menschen fehlt das Geld, um ihre Wohnungen angemessen zu beheizen. "Günstigere und umweltfreundlichere Energie" hatten die EU-Mitgliedstaaten einst versprochen. Warum sind die Stromrechnungen noch immer so hoch?

Durch steigende Strompreise sind viele Privathaushalte in der EU überlastet: In Spanien betrifft dies sogar ein Drittel der Bevölkerung. In Italien konnten im Jahr 2015 fünf Millionen Familien ihre Stromrechnung nicht begleichen, in Deutschland waren es sieben und in Frankreich sogar acht Millionen Menschen. "Günstigere und umweltfreundlichere Energie" hatten die EU-Mitgliedstaaten vor 20 Jahren versprochen. Doch was ist aus der vielversprechenden Idee eines gemeinsamen und transparenten Energiemarkts geworden?

Zahlt der Verbraucher für jahrelange politische Fehlentscheidungen? In Deutschland hat man zwar den Atomausstieg beschlossen, muss aber dennoch auch weiterhin Braunkohletagebau betreiben, was nicht nur zulasten der Umwelt geht, sondern Zwangsumsiedlungen ganzer Ortschaften zur Folge hat.
In Spanien leisteten Tausende Bürger mit Investitionen in eigene Solarstromanalagen einen Beitrag zum energetischen Wandel. Die Regierung hatte versprochen, ihnen den Strom zu fairen Preisen abzunehmen. Einige Jahre später überlegte sie es sich anders und sorgte so für eine Rekordverschuldung.

In Frankreich hat das ehemalige Staatsunternehmen Electricité de France (EDF) bis heute eine Monopolstellung inne. Dies verstößt nicht nur gegen den freien Wettbewerb in der EU, sondern verwehrt Tausenden Franzosen, die gerne ihre eigene Energie produzieren würden, die Loslösung vom staatlichen Netzbetreiber.

Der Dokumentarfilm durchleuchtet die verschiedenen Versprechen, die im Namen eines liberalen europäischen Energiemarkts gemacht wurden, und analysiert die Hintergründe für das Scheitern dieser europäischen Vision.

Montag, 7. März 2016

ICH WEISS, WER DU BIST - AUF DEM WEG ZUR ALLSEHENDEN GESELLSCHAFT



Internetkonzerne kennen unsere politische Einstellung, unser Konsumverhalten und unsere Kreditwürdigkeit. Was aber, wenn nicht nur Google, Amazon und Facebook all das von uns wüssten, sondern jeder Passant auf der Straße? Die Dokumentation "Ich weiß, wer Du bist" behauptet: Dieses Szenario ist keine Zukunftsmusik, sondern steht uns unmittelbar bevor.

Internetkonzerne kennen unsere sexuellen Neigungen, unsere politische Einstellung, unser Konsumverhalten und unsere Kreditwürdigkeit. Sie wissen, mit wem wir befreundet sind, wo wir arbeiten und welche Bücher und Filme wir mögen. Was aber, wenn nicht nur Google, Amazon und Facebook all das von uns wüssten, sondern jeder Passant auf der Straße? Was, wenn ein einziger Blick genügte, um all jenes über einen Menschen zu erfahren, was das Netz über ihn weiß? Wenn es eine Datenbrille gäbe, die uns beim Spaziergang durch eine Fußgängerzone unfassbar viel über unsere Mitmenschen wissen ließe? Einfach indem sie Gesichter erkennt und diese Gesichter den zugehörigen Informationen im Netz zuordnet?

Die Dokumentation "Ich weiß, wer Du bist" behauptet: Dieses Szenario ist keine Zukunftsmusik, sondern steht uns unmittelbar bevor. Gesichtserkennende Maschinen, smarte Brillen und Datenmusterkennung heißen die drei Technologien, die für eine solche Brille benötigt werden und die es heute bereits gibt. Sie müssen nur noch zusammengefügt werden.

Der Internet- und Fernsehjournalist Mario Sixtus besucht deshalb in "Ich weiß, wer Du bist" Visionäre wie Sebastian Thrun, den Entwickler der Google Glass, Forscher wie Vesselin Popov von der Universität Cambridge sowie Unternehmer wie Erki Kert von Big Data Scoring und zeigt ihre Arbeit. Wie gut funktionieren Datenbrillen, Gesichts- und Datenmustererkennung tatsächlich? Wie lange wird es noch dauern, bis wir alle eine allsehende Brille kaufen können? Und vor allem: Was bedeutet das für unser auf Anonymität beruhendes Zusammenleben in der Großstadt, wenn wir auf einmal mit den Kontoständen, Chat-Dialogen und Neurosen unserer Mitmenschen konfrontiert werden?

"Ich weiß, wer Du bist" eröffnet gemeinsam mit der Harvard-Ökonomin Shoshana Zuboff, dem Futurologen Ludwig Engel und dem Kulturwissenschaftler Michael Seemann die Debatte darüber, wie wir der Herausforderung eines drohenden Zusammenlebens ohne Privatsphäre begegnen wollen, und untersucht, welches utopische Potenzial in einer allsehenden Gesellschaft steckt.

Mittwoch, 2. März 2016

DIE REVOLUTION DER SELBSTLOSEN


Immer mehr Wissenschaftler stellen die pessimistische Sichtweise der menschlichen Natur infrage. Psychologen, Neurowissenschaftler und Primatenforscher haben herausgefunden, dass Altruismus und die Fähigkeit zur Kooperation durchaus grundlegende, angeborene Wesenszüge des Menschen sind ...

Selbstbezogenheit, Materialismus und Geldgier beherrschen unsere moderne Gesellschaft. Aber gehört es nicht vielleicht doch zur menschlichen Natur, selbstlos zu sein, also uneigennützig im Interesse von anderen zu handeln? Seit rund 20 Jahren widerlegen Forschungsergebnisse - wie etwa die des Katastrophenforschungszentrums von Delaware - die These von einem universellen Egoismus. Psychologen, Neurowissenschaftler und Primatenforscher fanden heraus, dass sogenanntes prosoziales Verhalten wie Mitgefühl, Altruismus, Hilfsbereitschaft und die Fähigkeit zur Kooperation zu den fundamentalen Eigenschaften des Menschen zählen.
Sylvie Gilman und Thierry de Lestrade haben Wissenschaftler bei ihren Forschungsarbeiten begleitet: Ausgangspunkt sind entwicklungspsychologische Studien, die bereits im Babyalter ansetzen und das Bild eines Menschen zeigen, der hochgradig kooperativ ist: Nach Studien der Universität Yale verfügen Babys bereits in den ersten Lebensmonaten über ein moralisches Urteilsvermögen, eine Art Gerechtigkeitssinn und zeigen spontan altruistische Verhaltensweisen.

Angesichts der weltweiten Herausforderungen, die nach radikalen Veränderungen rufen, stellt sich die Frage, ob und wie diese positiven Charaktereigenschaften des Menschen gefördert werden können. Könnte man Selbstlosigkeit womöglich sogar üben? Unermüdlicher Botschafter dieser Überlegung ist der studierte Molekularbiologe Matthieu Ricard. Der buddhistische Mönch studiert mit Hirnforschern die Wirkung von Meditation auf das Gehirn - mit Erfolg. Zahlreiche Experimente zum Geistestraining weisen nach, dass die individuelle Wandlung möglich ist. Meditationsübungen an Schulen in Problemvierteln zeigen bereits überraschende Erfolge im Sozialverhalten und im Kampf gegen Aggressionen. Längerfristig besteht das Ziel darin, eine breitere Bewegung auch über den Bildungs- oder Gesundheitssektor hinaus anzustoßen.

Manche Ökonomen setzen große Hoffnungen in die Wandlungsfähigkeit unserer Gesellschaft. So haben sich Wirtschaftsexperten auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos ein neues Thema auf die Fahne geschrieben: Achtsamkeit. Seinen Geist der Güte zu öffnen und sich in humanitären Projekten zu engagieren, ist aus ihrer Sicht eine Win-win-Situation, die auch für die moderne Wirtschaft keine Utopie bleiben soll.